Wie kann Lernen in einer Kultur der Digitalität gelingen?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Diese Frage finde ich gar nicht so leicht zu beantworten und ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob meine Antwort hierauf endgültig ist. Selbst während ich diesen Beitrag verfasse, verändert sich mein Blick hierauf nochmals. Wichtig erscheint mir zunächst zu klären, was ich unter Lernen verstehe. Bei all der Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas bin ich mir zumindest sicher, dass Lernen in einer Kultur der Digitalität in jedem Fall selbstbestimmtes Lernen sein sollte.

Was ist selbstbestimmtes Lernen?

Vor beinahe zehn Jahren habe ich ich mich im Zuge meiner Staatsexamensprüfung mit Formen und Möglichkeiten offenen Lernens auseinandergesetzt und entsprechende Unterrichtseinheiten geplant. Der Grundansatz, dass hierbei nicht ich als Lehrender im Mittelpunkt stehe, sondern die Lernenden mit all ihren unterschiedlichen Fähigkeiten, Strategien und Standpunkten, gefiel mir von Anfang an. Auch das Feedback der Lernenden war mehrheitlich positiv. Lange Zeit konnte ich daran leider nicht so anknüpfen, wie ich es gerne getan hätte – der Wunsch dagegen blieb stets bestehen.

Aus heutiger Sicht finde ich den Begriff des offenen Lernens (oder auch offenen Unterrichts) schwierig, weil er zunächst sehr unbestimmt ist. Im Kern geht es darum, dass Lernende selbstbestimmt lernen, d.h. sie entscheiden im Lernprozess selbst über möglichst viele der folgenden Fragen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

    • Wo und wann soll ich lernen?
    • Mit wem kann und will ich lernen?
    • Brauche ich Unterstützung beim Lernen?
    • Was will ich lernen?
    • Welchen Lernweg möchte ich beschreiten?
    • Welche (Lern)Ziele kann ich mir setzen?
    • In welcher Geschwindigkeit kann ich lernen?

Lernen in einer Kultur der Digitalität

Die Fragen des Zusammenlebens werden heute vermehrt in den Strukturen ausgehandelt, welche die Digitalisierung geschaffen hat – insbesondere in sozialen Medien. Eine solche Kultur der Digitalität bietet den Akteuren auf allen gesellschaftlichen Ebenen neue Möglichkeiten. In vielen Organisationen werden Konzepte und Lösungsstrategien mittlerweile durch gemeinsames, vernetztes Arbeiten entwickelt. Ähnliches gilt für politisches Handeln: Veränderungen können sogar von Individuen angestoßen werden und durch die Vernetzung mit Gleichgesinnten die politische Tagesordnung bestimmen. Politische Teilhabe wird dabei neu definiert, während politische Institutionen an Bedeutung verlieren. Auf der Ebene des Einzelnen können Beziehungen in der Digitalität neu verhandelt und geknüpft werden, sie ist zudem der Raum sich selbstbestimmt auszudrücken.

Wenn Lernen unter den Bedingungen einer Kultur der Digitalität gelingen soll, dann müssen wir diese annehmen und den Blick auf die Frage lenken: Welche Kompetenzen müssen gestärkt werden um deren Möglichkeiten zu nutzen? In diesem Zusammenhang werden immer wieder vier zentrale Kompetenzen (4K / 21st Century Skills) genannt: Kreativität, kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation. Was dahinter steckt, zeigt die folgende Abbildung:

Titel: „Worum es bei 4K darüber hinaus geht …“. Die Folien und Grafiken „Was die Leute für 4K halten – und was es wirklich ist“ stehen unter der Lizenz CC BY 4.0. Sie stammen von Jöran Muuß-Merholz mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis einer Folie von Markus Bölling. Die Originale findest du hier.

Welche weiteren Kompetenzen in Zukunft relevant sein werden, hat Ulf-Daniel Ehlers systematisch in seinem Buch Future Skills: Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft dargelegt. Die Möglichkeiten und Herausforderungen der Kultur der Digitalität spiegeln sich darin wieder. Für den schulischen Kontext lohnt sich aus meiner Sicht der Blick auf die folgenden Kompetenzen.

Gekürzte und veränderte Darstellung nach: Ulf-Daniel Ehlers (2019): Future Skills. Lernen der Zukunft – Hochschule der Zukunft. Karlsruhe. S. 94ff. CC BY 4.0

Was folgt für mich daraus?

Selbstbestimmtes Lernen, so wie ich es verstehe, kann den Erwerb dieser Kompetenzen fördern, da es in diesem Prozess stets um Wissensaneignung statt Wissensvermittlung geht. Die Gegenüberstellung von Lisa Rosa verdeutlicht dies noch einmal:

*Ich würde die gezeigte Übersicht außerdem noch um den Gegensatz „ohne Mitbestimmung“ – „Mitbestimmung erwünscht“ ergänzen.
Quelle: Lisa Rosa (28.11.2017): Lernen im digitalen Zeitalter. CC-BY / Außerdem zu finden bei Jöran Muuß-Merholz (19.02.2019): Aufforderung zum Tanz! Damit neue Medien nicht alte Pädagogik optimieren.

Bei meiner Unterrichtsplanung orientiere ich mich zunächst an den Kompetenzen, die ich für zentral erachte (siehe 4K / Future Skills). Es geht mir nicht darum Kompetenzen und Inhalte gegeneinander auszuspielen. Im Gegenteil: Kompetenzen können nur an Inhalten wachsen. Die Frage ist, was wollen wir Lernenden mit auf dem Weg geben? Sollen es möglichst viele Wissensbausteine sein, die sie möglicherweise benötigen werden? Oder ist es nicht besser, sie erwerben Fähigkeiten, um zukünftiges Wissen zu erschließen oder Lösungsstrategien zu entwickeln? Wie gesagt, für mich ist dies keine Frage von Schwarz oder Weiß, sondern eine Frage der Prioritäten. Wichtig ist für mich auch bei diesen Fragen, dass wir die Lernenden nicht aus dem Blick verlieren und ihnen hierbei möglichst viel Mitbestimmung zutrauen.

Wir sollten die Kultur der Digitalität annehmen und uns darin ausprobieren. Meine Erfahrung ist, dass wir eher dazu neigen die Kultur der Digitalität im schulischen Kontext zu problematisieren: Welche Gefahren gehen von Sozialen Medien aus? Wo lauern Suchtpotentiale? … Diese Perspektive ist natürlich berechtigt, sollte aus meiner Sicht jedoch nicht alleine im Mittelpunkt stehen. So kann es leicht geschehen, dass wir den Blick auf die Möglichkeiten (und die weiteren Herausforderungen) der Kultur der Digitalität verlieren. Im schlimmsten Fall führt dies dazu, dass wir versuchen sie von Schule fernzuhalten, sie förmlich auszusperren (Verbot von Smartphones, etc.)

Die Alternative ist, die Kultur der Digitalität anzunehmen, sich darin auszuprobieren. Wie kann das aussehen? Ein Beispiel: Vor nicht allzu langer Zeit habe ich das Thema „Urheberrecht“ noch mit Hilfe von Schulbüchern und / oder Arbeitsblättern behandelt. Die Auseinandersetzung mit der Thematik fand auf einer eher abstrakten Ebene statt (selbst wenn an Fallbeispielen gearbeitet wurde). Heute lasse ich Lernende eher eigene Inhalte erstellen und diese im Netz veröffentlichen. Die Frage des Urheberrechts oder der Lizenzierung von Inhalten stellt sich dann fast von alleine – und wird wahrscheinlich von den Lernenden auch tiefer durchdrungen. Ganz nebenbei entstehen in diesem Prozess Produkte, auf die sich andere Lernende beziehen können oder die sie nutzen können.

Fazit: Wir leben längst in einer Kultur der Digitalität – ob wir wollen oder nicht. Es ist an der Zeit Schule und Unterricht dafür zu öffnen.

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